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Goodbye, Facebook: ein lange überfälliger Abschied (Teil 1)

tl;dr: Facebook ist Mist. Es ist höchste Zeit, auf eine Alternative wie Mastodon umzusteigen. Gerade wir Facebook-Veteranen müssten doch erkennen, dass es schon lange nicht mehr das ist, was es vor über 10 Jahren war. Neben „Verlinke XY unter dem Bild“-Posts, Fake News und Hatespeech gibt es kaum noch vernünftigen Inhalt. Darum steige ich aus.

Facebook hat mich – wie viele meiner Generation – über Jahre begleitet, am intensivsten während des Studiums. Doch das Facebook von heute ist nicht mehr das gleiche wie zu seiner Anfangszeit. Die Gründe, die heute gegen Facebook sprechen, sind dabei sehr vielfältig. Deshalb teile ich meinen „Abschiedsbrief“ in zwei Beiträge auf. In diesem Teil geht es mehr um inhaltliche Aspekte und einen Fokus auf die Facebook-Nutzer selbst. Beim nächsten Mal folgen Hintergründe wie Datenpannen (Wer erinnert sich noch an Cambridge Analytica?) sowie das Armutszeugnis beim Thema Datenschutz.

Aber der Reihe nach. Um zu erklären, warum Facebook heute nicht mehr das ist, was es einmal war, muss man zunächst zurückblicken auf den Beginn des Hypes. Und im Internetzeitalter ist das schon eine halbe Ewigkeit her.

Rückblick: Die Anfänge auf Facebook

Ich bin 1984 geboren – genau wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Wir gehören der selben Generation an: diejenigen, die nicht schon ins Internet-Zeitalter hineingeboren wurden, sondern die ab dessen zunehmender Verbreitung Mitte der 1990er zusammen mit ihm aufgewachsen sind – die wahren digital natives. Das Internet ist sozusagen, man möge mir den plumpen Vergleich verzeihen, der kleine Bruder meiner Generation: Wir sind etwas älter, aber waren trotzdem selbst noch junge Teenager, als wir anfingen, mit dem jungen Internet zu spielen. Mit Bruder Internet sind wir also aufgewachsen und betrachten heutzutage in liebevoller Erinnerung die gemeinsame Vergangenheit, aber auch mit zunehmender Entfremdung und Skepsis die Gegenwart und (mögliche) Zukunft.

Das gilt auch und erst recht für Facebook. Mittlerweile ist dessen Geschichte bekannt und wurde mit „ The Social Network“ schon 2010 von David Fincher verfilmt (übrigens ein höchst interessanter Film, den man als Nutzer gesehen haben sollte). Wie im Film gezeigt wird, begann Facebook zunächst als Plattform für Studierende des Harvard College, bevor es dann schrittweise weiteren Universitäten zugänglich gemacht wurde – und dann auch in Europa. Zu dem Zeitpunkt ( das muss 2006 gewesen sein) hatte ich davon gelesen und mich aus Neugierde angemeldet. Die Kontrolle, ob man wirklich Student war, ging einfach über die Mail-Adresse: Nur wer eine Adresse mit der Domain-Endung einer Universität hatte, konnte einen Account erstellen, also im Fall der Uni Mannheim damals z.B. name@rumms.uni-mannheim.de. Man kann hieran schon erkennen, dass die Nutzer-Demografie daher eine radikal andere war als heute.

Mein erster Facebook-Post nach der Neuanmeldung – vor knapp 11 Jahren.

Diese Exklusivität hatte aber ihren Preis, zumindest in Deutschland: Es gab schlicht zu wenig Nutzer. Niemand, den ich kannte, nutzte damals Facebook; weder an der eigenen Uni, noch Schulfreunde an anderen Unis. Unumstrittener Platzhirsch der sozialen Netzwerke war unter den deutschen Studierenden studiVZ, und das blieb auch auf Jahre so. Wie im Screenshot oben zu sehen, meldete ich mich erst 2010 wieder auf Facebook an. In den wenigen Jahren bis dahin hatte sich online viel getan: das sogenannte Web 2.0 expandierte, YouTube war entstanden, der ehemalige Gigant MySpace ging unter, studiVZ und Lokalisten waren out und es begann ein Run auf Facebook – aber immer noch vorangetrieben von der Generation Zuckerberg. Mittlerweile erkannten das aber auch die Medien. Erste Artikel im SPIEGEL beschrieben diese Entwicklungen schon 2007.

Wie viele Stunden haben wir damals wohl auf Facebook mit FarmVille verbracht? Wie viele Hausarbeiten wurden dadurch unnötig in die Länge gezogen? Man traf sich also in der Uni-Bibliothek (A3, einzig wahre Uni-Bib in Mannheim!), saß am Laptop und kümmerte sich um Farmen. Ironischerweise scheint ein ähnliches Spiel auch heute sehr beliebt zu sein …

Facebook im Jahr 2010
Facebook im Jahr 2010. (Bild: Der_Oberlausitzer / Wikipedia)

Facebook heute: Was hat sich verändert?

Natürlich hat es in den letzten zehn Jahren viele Veränderungen auf Facebook gegeben – nicht nur optisch im Zuge verschiedener Design-Updates. Auch inhaltlich ist viel passiert, sowohl von Facebook selbst, als auch von den Nutzern.

Die Monetarisierung

Facebook ist und bleibt ein Werbeunternehmen.

John Lanchester

Ein Faktor ist die ständige Kommerzialisierung von Facebook. In seinem beachtlichen Essay „ Du bist das Produkt“ , den ich auch im nächsten Teil noch einmal aufgreifen werde, schildert der britische Journalist John Lanchester unter anderem, welche Veränderungen sich im Zuge des Börsengangs 2012 hinter den Kulissen ergaben – und welche Bedeutungen das für uns als Nutzer bis heute hat: „Als es Zeit für den Börsengang wurde, musste Facebook sich von einem Unternehmen mit unglaublichem Wachstum hin zu einem Unternehmen entwickeln, das unglaublich viel Geld machte.“

Um das zu verwirklichen, musste die Werbemaschine, die Facebook ja ist, optimiert werden. Der Filterblasen-Effekt ( Der TED-Talk von Eli Pariser ist übrigens Allgemeinbildung!) wurde verstärkt, der Newsfeed ständig angepasst. Lanchester bringt es auf den Punkt: „Facebooks Newsfeed leitet dir einen Datenverkehr weiter, der nicht nach deinen eigenen Interessen ausgewählt ist, sondern danach, wie man mit dir den größtmöglichen Werbeumsatz machen könnte.“ Dass Facebook dazu schon seit Jahren geltendes Recht bricht, ohne bis heute zur Rechenschaft gezogen worden zu sein, ist ein Armutszeugnis der Rechtsstaatlichkeit. Aber dazu an anderer Stelle mehr.

Facebook: ein „Seniorentreff“?

Ein weiterer Faktor, der erheblichen Einfluss auf das Facebook-Erlebnis hat, ist der demografische Wandel, der auch online stattfindet. Im Gegensatz zu anderen Plattformen, die relativ schnell wieder verschwanden, kann man auf Facebook die Langzeit-Veränderungen beobachten. Es gibt etliche Umfragen, die belegen, dass die Zahl der jüngeren Nutzer extrem fällt, was zu einer durchschnittlichen Überalterung von Facebook führt.

Der jährlich veröffentlichte „ Social-Media-Atlas“ von Faktenkontor zeigt das für 2020 klar und deutlich: „Nutzten 2014 noch 92 Prozent der Deutschen mit Zugang zum Internet zwischen 16 und 19 Jahren Facebook, sank der Wert jetzt zum fünften Mal in Folge und liegt inzwischen bei nur noch 36 Prozent.“ Die einzige Gruppe, die zuletzt nicht schrumpfte, sind die 40-49-jährigen. Daneben hält noch die Mehrheit der 20-39-jährigen Facebook die Treue, doch ein Profil zu haben bedeutet ja auch nicht, dass man täglich die Seite besucht. Die Dunkelziffer der „Karteileichen“ ist sicher nicht zu unterschätzen.

Ein Trost für Facebook: Die beliebteste Kommunikationsplattform der 14-29-jährigen ist WhatsApp (95% von ihnen nutzen es), gefolgt von Instagram (65%) – und beide Plattformen sind ja bekanntlich Eigentum von Facebook. Auf Instagram sind die Jugendlichen zudem deutlich in der Überzahl gegenüber den Älteren: nur 21% der 30-49-jährigen haben ein Konto, ab 50 so gut wie keiner mehr. Wenn die Jugendlichen gänzlich unter sich bleiben wollen, tun sie das auf Snapchat: Das wird generell nur von der jüngsten Gruppe benutzt. (Zahlen: Statista, Oktober 2020)

Wie die Nutzer Facebook selbst zerstören

Nach dem Blick auf die Frage nach dem „Wer“ geht es nun um das „Was“. Will man wissen, woran Facebook krankt, muss man sich nämlich die Inhalte anschauen, die von den Nutzern verbreitet werden.

Sharepics und Tagging – die Pest von Facebook

Ich habe mittlerweile hunderte von Facebook-Seiten auf meiner Blockierliste. Das liegt daran, dass mit der Kommerzialisierung zunehmend Firmen und professionelle Medienschaffende auf Facebook Seiten erstellten, aber auch andere, die ihr Glück versuchen, indem sie Bildchen mit Sinn(los)sprüchen erstellen, die möglichst viel geteilt werden sollen (sharepics). Diese Praxis wird wunderbar von „Willy Nachdenklich“ auf dessen Facebook-Seite „ Nachdenkliche Sprüche mit Bilder“ aufs Korn genommen:

Nachdenkliche Sprücher mit Bilder, von Willy Nachdenklich

Noch nerviger sind aber Bildchen, die dazu auffordern, z.B. Personen mit bestimmten Namen oder Anfangsbuchstaben zu verlinken (tagging): „@A… muss dir einen ausgeben“ oder ähnlich lauten dann die Inhalte. Natürlich ist das nichts als plumpe Eigenwerbung, da es sich ja in der Regel um Unternehmen und Dienstleister handelt, die auf diese Art kostenlos Verbreitung finden. Außerdem füttert es brav den Werbe-ID-Algorithmus und Facebook kann wieder ein paar Vernetzungen mehr hinzufügen. Ziel erreicht: Die Nutzer machen Werbung für Unternehmen, für die lediglich ein Praktikant in fünf Minuten ein Bildchen erstellen musste, und Facebook kann wieder bei Werbekunden abkassieren. Die treudoofen Erfüllungsgehilfen sind die Nutzer selbst, die nichts davon haben, außer einer nervigen Benachrichtigung, irgendwo verlinkt worden zu sein.

Fake News und Hatespeech

Viel ist schon darüber berichtet worden und die jüngsten Ereignisse in Washington um den Sturm aufs Kapitol zeigen wieder die Rolle der Verbreitung von Desinformation und Hass in sozialen Netzwerken generell. Doch auch in Deutschland gibt es radikale Gruppierungen, die sich in Facebook-Gruppen sicher wähnen und dort ihren Hass ausleben. Besonders Politiker*innen bekommen das ab, doch auch andere Menschen des öffentlichen Lebens wie z.B. Greta Thunberg sind davon betroffen. Dabei werden die Grenzen von normaler Kritik weit überschritten. In der aktuellen Lage gibt es zudem Überschneidungen: Reichsbürger, Impfgegner, Corona-Maßnahmen-Ignorierer … Alle, die ihr bisschen Verstand verloren haben, tummeln sich in entsprechenden Facebook-Gruppen (neben anderen Medien wie Telegram-Kanälen) und können sich dort gegenseitig aufhetzen. Man muss sich nur mal auf Aufklärungsseiten wie z.B. bei DieInsider umschauen, um die Abgründe zu sehen.

DieInsider über "Impfgegner"
Nur eins von unzähligen Beispielen, die DieInsider täglich veröffentlichen.

Solche Gruppen zeigen auch wieder den demografischen Wandel: Es sind keine Teenager-Mädchen, die sich radikal äußern, sondern es sind meist Männer über 40 – also jene Alterskohorte, die als einzige nicht schrumpft, während die Jüngeren und Ältesten die Plattform verlassen. Übrig bleibt ein Mob hasserfüllter Männer, die sich offensichtlich in ihrer Männlichkeit und ihren Privilegien so bedroht fühlen, dass sie in Gruppen wie „Fridays for Hubraum“ Morddrohungen gegen die minderjährige Greta Thunberg aussprechen müssen. Es ist auch kein Zufall, dass gerade AfD-Mitglieder und -Politiker Werbung für solche Gruppen machen. Kurioserweise ist die Kleinpartei der Spitzenreiter auf Facebook: Laut Statista (Oktober 2020) hat die AfD über 500.000 „Fans“ mit großem Abstand vor der Linken (252.000) und der CSU (217.000).

Doch die Radikalisierung hat auch Rückwirkungen auf Facebook selbst: Besonders in den USA ist es ins Visier der Politik geraten, da Rassismus und Hassrede explosionsartig zunehmen. Laut Experten ist die Verbindung von Online-Äußerungen zu extremistischen Gewalttaten nicht zu leugnen. Jonathan Greenblatt von der „Anti-Defamation League“ bezeichnete laut ABC News Facebook als „Front im Kampf gegen Hass“ und beschuldigt Facebook und Co., nicht genug gegen Extremisten zu unternehmen.

Stop hate for profit!

Auch wirtschaftlich leidet Facebook unter der Zunahme von Hassrede und Fake News: Namhafte Unternehmen kündigen ihre Werbung auf der Plattform. Im Juni meldete z.B. das manager magazin dazu: „Immer mehr Konzerne wollen Werbeanzeigen bei Facebook stoppen und die Online-Plattform damit zu einem stärkeren Vorgehen gegen rassistische und gewaltverherrlichende Inhalte bewegen. […] Verizon wirft dem weltgrößten Internetnetzwerk vor, zu wenig gegen die Verbreitung von Hassrede, Falschinformationen und Mobbing auf seinen Plattformen zu tun.“

Diese Unternehmen sind damit nicht allein: über 1.200 Firmen und NGOs haben sich mit der Initiative Stop Hate for Profit an Facebook gewandt, darunter auch deutsche Konzerne wie Bayer, Siemens oder SAP. Sie wollten mit einem einmonatigen Werbeboykott eine klare Botschaft an Facebook senden: „stop valuing profits over hate, bigotry, racism, antisemitism, and disinformation.“ Als Folge fiel der Aktienkurs von Facebook und man sah sich zu Gesprächen gezwungen, um gegenzusteuern. Doch es gibt weitere Kritik, wie Carolin Sachse-Henninger von „ Pressesprecher“ zusammenfasst: „Lang hat es gedauert, bis der Konzern anfing, irreleitende Posts von US-Präsident Donald Trump zu löschen oder radikale Gruppen wie QAnon zu verbieten.“

Meldefunktionen und rechtliche Vorgaben wie das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz sind zwar immerhin etwas, aber können das gegenseitige Aufwiegeln in Filterblasen und all die Hasskommentare nicht verhindern. Außerdem eröffnet die zunehmende Einmischung von Facebook eine neue Problemstellung. Sachse-Henninger zitiert hierzu Lars Rosumek von Eon: „Damit agiert [Facebook] zunehmend wie ein journalistisches Medium – und könnte so einen fundamentalen Bedeutungswandel erfahren.“

Fazit und Ausblick

Von Spam-Inhalten über belangloses Teilen anderer Beiträge bis zu den Abgründen aus Hass und Desinformation: Das Facebook von heute ist nur noch ein Schatten seiner selbst, wenn man es mit seiner Anfangszeit vergleicht. Vorbei ist der Rückzugsraum Studierender, die sich die Zeit damit vertrieben. Die ständige Expansion und Öffnung für alle Welt war der erste Schritt abwärts, die Kommerzialisierung der zweite. Die Jugendlichen ignorieren Facebook heute; generell sinken die Nutzerzahlen von Jahr zu Jahr.

Wird es Facebook irgendwann so ergehen wie seinen Vorgängern? Wohl nicht, dafür ist es zu komplex und vernetzt. Mit Instagram und WhatsApp hat der Konzern außerdem zwei andere populäre Plattformen im Portfolio, sodass Mark Zuckerberg sich nicht allzu viele Sorgen machen wird. Dennoch: Als normaler Nutzer sollte man sich schon fragen, welchen Sinn man in Facebook noch sieht, und ob man es wirklich aktiv nutzt – oder ob man nicht eher für den Profit selbst bloß benutzt wird.

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